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Was zählt?

Für Richtigkeit und Wahrheit der hier getroffenen Aussagen übernimmt niemand eine Haftung. Anhaften an abschließenden Thesen ist nicht erwünscht. Es soll nur ein bisschen Schorf aufgerieben werden, damit es nicht eitert, wo's weh tut. Damit zum Text:

Wodurch erhält Kunst ihren Wert? Wenn Sie ein Kunstwerk kaufen – was bestimmt seinen Preis? Sicher beantworten sich diese Fragen unterschiedlich, je nach dem Level, auf dem die Kunst verhandelt wird. Ich möchte drei Level unterscheiden: 1. Der greifbare Wert 2. Der Immaterielle Wert und 3. Der Wert des Erfolgs.

I Meine erste These ist: Sobald ein Werk, sagen wir, die 50 000€er Grenze überschreitet, ist es der Glanz des Erfolgs, der uns anzieht, den wir zu uns bringen, den wir haben und vermehren wollen, dessen Nähe wir suchen: Wer ein solches Werk besitzt, ist nicht mehr irgendwer, er ist jemand.

Man muss hier klar sehen: Der Glanz des Erfolgs glänzt im Lack des Lamborghinis nicht anders als im matten Grau des Munch’chen Schreis. Wider allem ersten Eindruck ist es genau das gleiche, vielversprechende Leuchten, die Abwesenheit von Mühe und Not, die uns hier wie dort anzieht und diese Anziehung ist primitiver, evolutionärer Natur:

Niemand wird ihr entkommen. Es geht um Überlegenheit, darum, etwas hinter sich lassen zu können: Müdigkeit, Schmerz, Leid und Tod. (Und man vergesse nie: Auch die Intellektualität hat ihren Glanz, der über allem steht, der uns gerade darum, anzieht...)

II Meine zweite These ist: Kunst eignet sich vor allem anderen als Maß oder Einheit von Erfolg: teure, moderne Kunst kaufen, ist wie Erfolg pur kaufen.

Betrachten wir die Preise, die kontemporäre Kunst auf dem Markt erzielen kann, ist unmittelbar klar, dass Material, Größe, Aufwand und Könnerhaftigkeit der Fertigung dabei nicht den Ausschlag gegeben haben: Ein –zwei qm Leinwand oder Papier, etwas Farbe und einen halben Tag oder auch mal eine Woche Arbeit könnte man selbst in Zeiten des Mindestlohnes locker mit 100 –500€ bezahlen. Vielmehr lenken den wahren oder millionenschweren Kunstsammler Können und Materialwert vom eigentlichen Wert der Kunst eher ab. Diese hat es eben nicht nötig, sich auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten und durch Materialwert (vielleicht doch lieber eine Bronze?) zu überzeugen. Ja, vielleicht sind Aspekte dieser Art noch für einem Kunst-sammelnden Mittelstand von Relevanz, der von den Kernwerten seiner eigenen Fügung oder Berufung auch beim Kunstkauf nicht absieht und nach KünstlerMarkenNamen sucht: „Da weiß man, was man hat“. Nicht aber bei dem highpotential Kunstsammler, den der gemeine Bürger mit seiner Sehnsucht nach beständigen Werten, nur langweilt.

Kann sich die Kunst also bei den „wirklich Reichen“ von dem öden, risikoscheuen Geist des guten Bürgers erholen und für ihren eigentlichen, ideellen, immateriellen Wert die Rechte und Wertschätzung finden? Heiratet Aschenputtel den Prinz?

Beobachtet man die Gegenstände teurer Verkäufe aufmerksam, fällt leider auf: Ebensowenig wie durch Material und Können stechen diese Werke gegenüber anderen durch eine besondere Idee oder ein erweitertes Wahrnehmungsvermögen hervor. Noch weniger weicht das intellektuelle Format der zugehörigen Künstler von den anderen ab, die eben nicht interviewt werden. Kurz: Motive, Gehalte und Umsetzung unterscheiden sich nicht prägnant von den Werken solcher Künstler, die irgendwo am unteren Rand der Preisskala mit dem Mittelstand und dem eigenen Untergang ringen.

Was aber ist es dann, dass den highpotential Kunstsammler angezogen hat? Was unterscheidet einen guten/teuren modernen Künstler von einem schlechten/unverkäuflichen?

Der einzige, hier wirklich hervorstechende Unterschied ist der, dass die einen eben Erfolg auf dem Kunstmarkt haben, die anderen aber nicht. Natürlich. Da beißt sich die Katze in den Schwanz: Erfolg hat, was Erfolg hat. Aber wer von uns kennt diese schwarze Magie nicht? Wer lässt sich nicht von ihr blenden?

Wir können hier also zwei Zusammenhänge erkennen: Einen der Börse und und einen der Psyche:

Ebenso, wie der Mittelstand beim Kunstkauf Können, Materialwert und verbürgte Marke nie ganz aus dem Auge lässt, einfach weil es Werte sind, mit denen er familiär ist - ist dem Erfolgreichen, also dem virtuell Erfolgreichen, dessen Handeln und Verdienst voneinander entkoppelt sind, dessen Geld „sich selbst macht“ - oder doch fast, verglichen mit der aufreibenden Lohnarbeit einer Putzfrau oder eines Bauarbeiters – vertraut und selbstbestätigend zuträglich, Kunst zu kaufen, die ihren Preis eben gerade nicht wert ist und nicht sein kann, einfach weil er „astronomisch“ ist. Der reiche Kunstsammler liebt Aufsteiger, einfach weil er selbst einer ist. Er liebt auch diejenigen, denen alles zufällt, weil auch er so ist. Er nimmt die Kunst mit in seine entkoppelte Sphäre, und macht sie zu dem, was er selbst ist: abgehoben.

Und das ist geil.

Der Geld-Wert moderner Kunst liegt jenseits ihrer Materialität, Funktionalität und jedem kommensurablen Sinngeschehen. Je inkommensurabler desto besser. Das macht sie zu einer idealen Währung für den reinen Erfolg:
Wir dürfen von der Kunst abstrahieren.

Wir brauchen das Werk nicht zu sehen.
Wir kaufen es einfach.
Allein dadurch ist es schon mehr Wert. Wenn genügend andere, die dazu auch nicht zu schauen brauchen, das gleiche tun.

Und das ist die Kunstblase.


III Meine dritte These ist: Weil das nun mal so ist, dass uns der Glanz des Erfolgs immer anlockt und uns Auskunft darüber gibt, womit es sich lohnt, sich zu beschäftigen, deswegen ist es auch so, dass wir von einem Künstler vor allem wissen wollen:

Wie steht es mit Anzahl, Ruf und Rang der Sammlungen, Museen, Galerien und Ausstellungen, an denen der Künstler teilgenommen hat? Deren - am besten, weltweite - Vernetzung? Ob an der Universität, in den verschiedenen Kunstvereinen, bei jeder Ausschreibung oder Vorstellung bei einer Galerie, der Künstler wird an erster Stelle dazu angehalten, nicht, sich zu erklären, sondern: zu prahlen. Eine einfache Aufzählung der ihm eingeräumten Stellen im Kunstraum, der ihm zugestanden Aufmerksamkeitspotentiale, seiner bisher erzielten Preise, reicht, um ihn wichtig oder unwichtig erscheinen zu lassen.

Prahlhänse und Proleten, Bauernweiber mit Geschäftssinn und Milchmädchen samt Rechnung, dass sind die Charaktere die der Kunstmarkt hervorbringt, weil er sie bevorzugt.

Man möge hier entgegenhalten, nur deswegen, sei diese Liste wichtig, weil die auf ihr genannten Stationen eben Indizes für die Qualität der von dem jeweiligen Künstler gemachten Werke sei. Diese Stationen seien eine Art bestandener Kunstqualitätsprüfstellen. Der aber so spricht, muss sehr naiv sein:

1. Können viele der Kunstinteressenten, die sich über die Karriere-Stationen oder eben den "künstlerischen Werdegang" eines Künstlers erkundigen, eine „gute“ von einer „schlechten“ Galerie nicht unterscheiden, ebensowenig wie einen wichtigen von einem unwichtigen Preis, Sammlung, Museum usw. Auf sie wirken hier vorallem Name, Anzahl und jede Form von Superlativen („die wichtigste, bekannteste, älteste, den höchsten Umsatz machende, einzig weltweit bekannte, erste...,“) – wobei diese Superlative Selbstläufer sind, sie werden einfach gerne aufgegriffen und nachgesprochen. Eher selten werden sie hinterfragt, es sei denn, in eigens sich darum bemühenden Doktorarbeiten unbeachteter Kunsthistoriker, die niemand und zwar auch zu recht liest, weil sie vollkommen langweilig sind. Wie überhaupt vieles langweilig ist, was einen der Wahrheit näher bringt.

2. Wenn eine Station, auf solcher zu unrecht „künstlerischer Werdegang“ genannten Liste, Garant für eine bestimmte Qualität sein soll – wieso um alles in der Welt, spricht man dann nicht von dieser Qualität, sondern nennt nur diese Station? Wären wir zu blöd, das zu begreifen, was sich über diese Kunst sagen und von ihr zeigen ließe? Können wir die Qualität der Kunst etwa nur an der Meinung der Experten ablesen? Haben wir uns überhaupt darum bemüht, zu verstehen, ob die Kriterien, nach denen die Künstler hier ausgewählt wurden, mit solchen übereinstimmen, die wir selbst anlegen würden? Existiert diese Kunst womöglich gar nur für diese Experten? Warum aber sollte das uns dann kümmern? Klatschen wir hier nicht bereitwillig zu Kaisers neuen Kleidern, froh, ein Teil des Hofes zu sein? Dankbar, nicht selbst denken und sehen zu müssen?

3. Wäre es sowieo ein Irrtum, anzunehmen, diese Stationen wären ein Effekt des erreichten Grades einer bestimmten künstlerischen Entwicklung. Vielmehr ist gerade umgekehrt eine künstlerische Entwicklung auch Effekt der ihr zugestanden Aufmerksamkeit und den Orten im Kunstraum, die diese ermöglichen. Wird nicht vielen das Künstlersein von klein auf durch Abwertung abgewöhnt? Wer entscheidet, was und wer "begabt" ist? Was soll dieses Wort überhaupt anderes bedeuten, als die Erlaubnis, sich mit etwas ausgiebig zu beschäftigen, womit sich andere eben nicht beschäftigen dürfen?
Ja, es stimmt: Nicht jeder möchte überhaupt ein Künstler sein. Aber wieso bewerben sich jedes Jahr soviel mehr junge Menschen an Kunsthochschulen, als aufgenommen werden? Gibt es ein Recht auf Bildung, nicht aber auf künstlerische Bildung? Wieso darf, ungeachtet des Bedarfes an Kunsthistorikern, Mathematikern und Philosophen, etc. Kunsthistorie, Mathematik, Philosophie etc. jeder studieren - nicht aber das Kunstmachen? Wozu diese künstliche Verknappung der Ressourcen?
Warum sollte ausgerechnet Kunst, dieses Gewerbe des freien Geistes, mit Elite einhergehen, wenn nicht, um ihr von Anfang an den Geschmack des Erfolges, dessich-gegen-andere-durchgesetzt-Habens einzuimpfen?

4. Was und wer könnte in der Kunst überhaupt vorgeben, was besser ist und was schlechter ist? Was Entwicklungspotential hat - und was nicht?
Gerade in der Kunst treten hier subjektive Vorlieben in den Vordergrund, einfach weil Kunst sehr subjektiv und persönlich ist - und auch sein darf. Aber genau hier stehen wir auch vor dem Paradox:
Ist Jemandem-Gefallen-Müssen - und anders geht es nicht, wenn man ein wiedererkennbares Siegel in seinen künstlerischen Lebensauf bekommen möchte - also, ist Jemandem-Gefallen-Müssen daher nicht gerade Gift für die künstlerische Entwicklung also einer Entwicklung des gestaltenden "Eigensinns"? Fallen hier nicht gerade die notwendig aus der Liste der Qualitätsprüfstellen raus, die frei sind? Frei von denen, die sie prüfen?
Letztendlich funktionieren diese "Kunst-Qualitätsprüfposten" so, wie alles andere auf der Welt, nach dem Modus der Vetternwirtschaft – bevorzugt wird, womit man verwandt oder doch zumindest vertraut ist – also nach dem Motto: What der Buer nit kinnt, dat frit er nich.

Es kann aber gut sein, dass uns selbst schmeckt und gut bekommt, was diese ausspucken. Wozu also Obacht auf solche Listen setzten, wenn es nicht der Glanz des Erfolges ist, der uns daraus anspricht?

Und nicht sein kann, was nicht sein darf:

Leere.

Lauschen.

Frigide Weiber, sinnentleerte Herren, das ist die Kunstwelt. Jeden Abend, jede Nacht: Geschwätz, seichtes Gerede, Make-up ab-lenkung und eine künstliche Freundlichkeit, die dem Spott nur eine leichte Maske auflegt: das ist die Kunstwelt. Kurzfristige Ereiferungen gelangweilter Jugend, so langweilig, weil sie ewig sein muss.

Soweit ich es erkennen kann, liegt die Frage: „Was hat der Künstler überhaupt gemacht, wie hat er gearbeitet, was hat er verarbeitet, was hat er dabei gefühlt und gedacht und vorallem, was davon geht in Resonanz mit mir als Betrachter oder „in-der-Kunstanschauung-Beteilligt-Werdender“?“ – weit abgeschlagen hinten im Raum, geht im Raunen der Erfolgs-getriggerten Anerkennung unter, ist beliebig zwischen anderen Zigaretten im Aschenbecher ausdrück – und vergessbar, liegt also weitabgeschlagen, hinten, betrunken und bewusstlos im Raum, kurz vor der Tür - und man wirft sie hinaus, bevor sie den Boden vollkotzt. Oder schlimmer noch: Man stößt darauf an, ja huch, so hübsch mit hütchen, so sinnentleert zu sein und nichts zu verstehen, während diese kindliche Frage dahinten an ihrem Erbrochenen erstickt.

Der White-Cube ist kein leerer Raum, er ist eine gestochen scharfe Maske des Überflusses und Überdrusses. Man täusche sich nicht.

Ich bin ein Tier, ich möchte hier raus.


IV Meine letzte These ist: Den einzigen Wert, den Kunst als Kunst besitzt, bezieht sie aus dem, was sie im Künstler und in ihrem Käufer oder Zusichnehmer anregt. Kunst ist prinzipiell unbezahlbar und man kann sie auch nicht einkaufen. Denn ihr Wert liegt in ihrer Reflexivität, in ihrer Existenz als gegenständlichen Gegenüber. Sie ist Platzhalter für eine Unterhaltung und diese Unterhaltung auch selbst (im Sinne Derridas also ein „gefährliches supplement“) Sie berührt langfristig oder immer wieder.

Diesen Wert kann jeder Mensch selbst erfassen, indem er in Auseinandersetzung mit der Kunst geht und das fängt damit an, dass er sie auf sich wirken lässt. Wenn nichts passiert, kann er Erkundigungen zu ihrem Werdegang einholen oder Reflexionen einsammeln, die andere zu ihr hinterlassen. Vielleicht passiert dann etwas zwischen ihr und ihm. Vielleicht auch muss er erst selbst Kunst machen (dürfen) um Kunst zu verstehen.

facing art hat etwas zu tun mit facing oneself und Kunst ernstnehmen etwas mit sich selbst ernstnehmen. Man darf sie links liegen lassen. Man darf ihr näher kommen. Man darf sich: orientieren

Der Wert der Kunst liegt also jenseits der Zerstreuung. Aber gibt es jenseits der Zerstreuung überhaupt etwas, was uns noch interessiert? Sind wir nicht erschöpft und überfordert und wollen wir nicht vor allem eins: Unsere Ruhe von dem ganzen Klimbin, Bestehen und nicht Bestehen, Verstehen und nicht Verstehen und vorallem: jeder Anstrengung und Auseinandersetzung?

Wir dürfen hoffen: Jenseits der Zerstreuung liegend, ist Kunst auch Erholung von Zerstreuung. Unsere Seele ist tief. Wir sollten ihr eine Auszeit gönnen, von allem, was sie nur sehr peripher angeht: wie z.B. Überleben. Die Kunst ist ein See, in den die Seele eintauchen darf und sich vergessend wiederfinden. Die Begegnung mit ihr braucht kein Festbeißen, Festhalten und Durchkommen. Sie ist jedem angemessen. Sie kann im Loslassen stattfinden.

Sie ist ein Spiel im Flug.


Johanna Frohberg, Jan, 2015